Samstag, 15. Dezember 2007

Ein deutsches Wochenende

Zwei große Zehen Knoblauch, eine halbe Zwiebel, Tomatenmark, Wasser, Pfeffer und Salz, eine große Prise Basilikum. Makkaroni für vier. Ich stehe in der Küche, Cordhose, schwarzes T-Shirt, Hosenträger, damit die Beinkleider an meinem mittlerweile, glaube ich, dünnerem Körper nicht herunterrutschen. Marko ist drüben, bei Davor auf einem Treffen der Organisation „Papa Giovanni XXIII“. Sascha auf der Arbeit. Jura isst nicht mit. Also sind nur Ruslan, Anatoli und ich am Start. Nummer vier bildet David, der aus Astrachan mitgekommen ist. Zehn Minuten, eine blöde Bemerkung seitens Davids ob verirrten Modegeschmacks und einigen Abschmecklöffeln für die Soße können wir essen.
Nach dem Essen geht es erstmal in die „Kurilka“. Geschichten austauschen. Wer hat die schlechteren Mitarbeiter in seinen Projekten, wer hat die blöderen Freunde und wer hat den eintönigsten Alltag. Gegenseitiges Bemitleiden zweier Freiwilliger, für die der russische Winter Einzug gehalten hat. Ich will nicht sagen, dass mein Alltag nunmehr nervt und ich hier in der Kälte vor mich hinschimmle, aber gewisse Dinge kehren nun doch immer wieder und bilden die graue Wand, in der man schwerer Farbkleckse findet, als in der bunten, neuen Welt, die mir entgegenstand als ich ankam.
Nach einigem Bitten von Ruslan machen wir uns dann direkt fertig für einen Spaziergang. Mein neues schwarzes Fleecehemd drunter geht es dann mit Schal und Handschuhen ins verschneite Wolgograd in Richtung „Park House“. Dort wird dann erstmal ein neuer Fotoapparat für David geshoppt. Wir haben uns sogar den Luxus einer Bedienung gegönnt, deren Gebrabbel für uns so Aufschlussreich war wie Erklärungen zu Integralrechnung nach einer völlig durchzechten Nacht. So beschränkten wir uns auf das Notwendigste: „Gute Firma? Wie viel Megapixel? Mit Akku oder Batterien? Großes Display? Kann man Filme aufnehmen etc?“ Als wir endlich fertig waren (Verkaufsgespräche in einer Fremdsprache sind echt das Letzte) sind wir auch fix raus aus dem riesigen Glasklotz westlicher Enklave, um uns wieder in russische Wetter zu begeben.
Mit dem Bus ging es dann ins Stadtzentrum, wo wir dann eine kleine Schneeballschlacht am Wolgaufer gegen Ruslan anzettelten und dann auch schon wieder nach Hause mussten (nicht ohne dass David uns noch zum Kauf einiger Kottletti genötigt hätte – tja, diese Astrachaner kennen so was „Zivilisiertes“, Leckeres natürlich nicht). Sehr witzig war dann die Heimfahrt in der Maschrutka, als unsere Sitznachbarinnen dachten, die Ausländer verstünden überhaupt nicht, worüber sie reden, während wir sicher sein konnten, dass sie kein Wort verstanden. Wieder zuhause ging es dann erstmal zu Davor, um bei dem Meeting unsere Aufwartung in Form einer Vorstellung zu machen. Danach dann direkt in den Supermarkt, um ein wenig Bier für den Abend klar zu kriegen.
Am Sonntag nach der Messe fuhren wir dann in einen anderen Teil Wolgograds, wo einmal eine deutsche Siedlung gewesen war. Dort fand dann ein Treffen aller Deutschen, die über längere Zeit in der Stadt sind, statt. Einem langweiligen Museumsbesuch folgte gemeinsames Essen und Trinken im evangelischen Gemeindehaus. Den Abschluss des Tages bildeten ein paar Stücke an der Orgel der evangelischen Kirche, worauf wir dann wieder ins Zentrum fuhren. Abends gab es dann wieder Bier und Gelaber mit David.
Das fand Sonntag seinen krönenden Abschluss im „Ramstore“, einem großen Kaufhaus mit mehreren Restaurants und Cafés auf mehreren Ebenen. Dort haben wir uns dann in eine kleine Ecke verzogen, Kaffee und Bier getrunken, gegessen und ganz viel geredet und geraucht. Wie herrlich das war mal wieder deutsch zu sprechen! Mittlerweile bin ich hier nämlich schon ziemlich russifiziert. Von „Leningrad“, einer echt verdammt lustigen russischen SKA-Band, habe ich mir nun auch schon Alben zugelegt und fluche auf Russisch. Sogar diese Füllwörter, die man zwischen zwei Aufgaben manchmal vor sich hinbrabbelt haben ihr Sprachgewand gewandelt. Ich sage nicht mehr „so“, wenn ich fertig bin, sondern „так“ (wird genau so ausgesprochen) und denke manchmal sogar auf Russisch, was ich hin und wieder ganz witzig finde und mir das Antworten auch leichter macht, sodass ich von Jura weniger oft ein „Блядь не русский“ (Soviel wie „Verdammt, kein Russe“) kassieren muss. Andererseits macht es mich aber auch ein Stück weit stutzig, dass das liebe Deutsche in einigen Momenten so schnell schwindet. Und von Vorteil ist es auch nicht immer, wenn man auf Russisch flucht, denn das verstehen die Kids im Kinderzentrum natürlich auch und wenn ich dann beim Tischtennis einen Aufschlag mit einem kaum unterdrückten „Сука!“ (wörtl.: „Schlampe!“, aber normal im Gebrauch etwa wie „Scheiße!“) ins Netz haue, bröckelt das Bild vom makellosen Vorbild, was die Leute bei der Caritas gern aus mir gemacht hätten. Mir persönlich ist aber eh lieber, dass die Kleinen jemanden haben, den sie auch trotz (vielleicht auch vor allem wegen) seiner Fehler respektieren, damit ich mich nicht verstellen muss. Schließlich ist die Welt sicher nicht nur eine Realität aus 20m² für vier Leute, mit besoffenem Papa, der nur rumpöbelt und hysterischer Mama, die nur weint, aber sie ist auch kein heiliges Elysium.
Ich belasse es erstmal mit diesem kleinen Eintrag, damit ich nicht gleich wieder einen halben Roman auf das digitale Papier setze, dann Hoffnungen auf ständig so viel Erguss zu machen, nur um dann wieder eineinhalb Wochen nichts zu schreiben.
Es verbleibt mit vergnüglichen Grüßen


Der kommende Hauptdarsteller des weihnachtlichen Krippenspiels der katholischen Gemeinde Wolgograds

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