Sonntag, 18. November 2007

Ich bin ja so intelligent

Nach 19 Jahren in Deutschland muss es erlaubt sein eine Frage zu stellen. Kann es denn illegale Deutsche geben? Ich meine, wir sind doch eigentlich immer die Guten – oder? Tja, eigentlich sind wir die Legalen. Uneigentlich war ICH letztens illegal unterwegs. Dazu muss man erstmal aber einen grundlegenden Unterschied zwischen Europa und Russland klarmachen. Bei uns sind die Grenzen offen und die Polizei schiebt nicht jede Sekunde Paranoia. Das ist in Russland anders. Hier gibt es immer und überall Polizeikontrollen. Meist genau dann, wenn die Jungs mal wieder ein bisschen Geld brauchen und irgendeine Kleinigkeit bemängeln, die eigentlich mehrere tausend Rubel Strafe kosten soll, aber zwei- oder dreihundert Rubel seien im Grunde genug – für jeden anwesenden Beamten. Nun ja, das ist ja eigentlich alles nichts Schlimmes. Wenn man nicht seinen Ausweis vergisst. Der ist nämlich in Russland wichtiger als Geld. Und als ich am letzten Wochenende nach Astrachan fuhr, hatte ich natürlich genau den vergessen. Ist mir natürlich auch gerade dann eingefallen als wir schon eine Stunde gefahren waren und mir den niemand mehr nachbringen konnte. Aber ich fange mal wieder mittendrin an. Früh morgens um sieben Uhr ging freitags der Autobus nach Astrachan. Und es war ein russischer Bus. „Gut“, sagte ich mir beim Anblick der eingeschlagenen Windschutzscheibe, der schmutzigen Sitze und der heraushängenden Leitungen für die Technik unseres außergewöhnlichen Straßenkreuzers, „wird schon alles laufen, schließlich fahren ja auch andere Leute mit diesem Karren.“ Irgendwie scheinen Russen aber härtere Hunde zu sein als ich, der ich nach einer Stunde Fahrt schon einen ersten Anflug extremen Pissdranges bekam und am liebsten schon da ausgestiegen wäre, als mir die Kiste mit meinem vergessenen Passport aufgefallen war. Da musste ich aber noch eineinhalb Stunden aushalten. Na ja, geklappt hat es dann ja. Wegen des Ausweises habe ich dann sofort Marco angerufen, der ihn mit dem nächsten Autobus nach Astrachan schicken wollte, damit ich ihn dann am nächsten Tag hätte. Das hat mich zunächst erstmal beruhigen können und so fuhren wir dann weiter. Mittags passierte mir dann gleich der nächste Fauxpas. Von Lea, die in Astrachan das Projekt der Assoziation „Papa Giovanni XXIII“ leitet und mit mir fuhr, wurde ich schnell in einen Tante-Emma-Laden geschickt, um etwas Essbares zu kaufen. Dummerweise fiel uns dass erst nach etwa 20 Minuten Pause ein und während ich im Laden darauf wartete, dass eine freundliche alte Dame aus dem Dorf endlich ihre Einkäufe beendete, wollte der Fahrer unseres Busses schon ohne mich losfahren. Dementsprechend aufgeregt kam mir dann, als ich endlich aus dem Laden rauseilte, Lea entgegen, die den guten Fahrer noch gerade aufhalten konnte. So verstrichen dann insgesamt ca. neun Stunden, die wir bis zur Grenze des Kreises Astrachan brauchten. Das Problem an dieser Grenze war, dass sie eine Grenze war. Das bedeutet: Dort kontrolliert die Polizei, ob nicht irgendwelche Idioten ohne Ausweispapiere illegal einwandern wollen. So ein Idiot saß ja nun bei mir im Bus. Und der schwitzte wie die letzte Sau. Zum Glück hielten mich die Milizionäre aber wohl für einen Russen, da sie meine Papiere nicht sehen wollten. Alles was irgendwie kleine Augen hatte oder sonst asiatisch aussah wurde sofort penetriert und komplett ausgecheckt. Ich dachte schon, dass alles überstanden sei, als an der Stadtgrenze noch mal kontrolliert wurde. Ich bekomme noch das Gespräch vorne zwischen Fahrer und Polizist mit: „Die Leute haben sich alle mit Passnummer bei ihnen eingetragen und sie haben das überprüft oder?“ „Nein, das machen die nur bei der Bahn, wir machen das ohne Passkontrolle“. Warum müssen denn immer alle Leute so gutherzig sein? Wieder ging also ein Polizist durch den Bus und sah jedem scharf ins Gesicht. Ich nahm im letzten Moment noch das Markenzeichen des Wohlstands aus den Ohren und versteckte den MP4-Player in der Jackentasche, bevor man noch vermuten konnte, dass ich Ausländer bin. Aber auch diese Hürde haben wir dann überwunden und – hey, was wäre das Leben ohne einen gewissen „Thrill“? Ich gebe aber zu, dass ich das in dem Moment erst nicht so gesehen habe. Schließlich kamen wir dann aber doch behütet im „Dom Lea“ („Haus Lea“) an, wo alsbald Abendessen aufgetischt wurde. Wunderbares Wiedersehen mit David. Nach dem Essen erstmal in die von ihm eingerichtete Rauchkammer und russische Lunten auf den Tisch. Austausch über die zuletzt gelesene Literatur, Arbeit vor Ort und Pläne wohin wir noch so fahren wollen. Abends haben wir uns dann einen Film zusammen mit „Deduschka“ angesehen. „Deduschka“ hat natürlich eigentlich einen anderen Namen (das Wort bedeutet soviel wie „Opa“ oder „Großväterchen“), aber den weiß noch nicht einmal David, also habe ich ihn auch so genannt. Der Film hieß „Shooter“ und war vor allem durch eine Menge Geballer gekennzeichnet, was sehr zur Freude „Deduschkas“ beitrug. Die groben Züge des Films haben David und ich ihm dann übersetzt, wobei er nur einmal den Kommentar abgab, dass es eigentlich am coolsten wäre, wenn nun endlich alle abgeballert würden. Damit habe ich den guten Alten natürlich direkt in mein Herz geschlossen und als er dann bei einer Zigarette noch den Ausdruck „Zigaretten essen“ im Sinne von „unglaublich schnell rauchen“ benutzte war der Tag bis auf den letzten Rest gerettet. Apropos Zigaretten: Wir haben mittlerweile mal Lunten, die man für umgerechnet 10 Cent bekommen kann, ausprobiert. Die sind echt nicht zu empfehlen. Drehtabak ist hier im Übrigen teurer als normale Filterlunten. Ein Päckchen Filterlunten kostet hier ca. 30 Rubel (dann hat man schon sehr gute) und ein Beutel Tabak etwa 100 Rubel (Samson). Aber das nur am Rande. Am nächsten Tag sind wir dann in die Innenstadt Astrachans gefahren, um dort die Obdachlosen zu versorgen. War ein ganz schön heikles Unterfangen, da ich immer noch keinen Ausweis hatte und die Polizisten dort scharf sind wie sonst nichts Gutes. Also habe ich die meiste Zeit über die Schnauze gehalten und nur leise mit David Deutsch gesprochen, sonst nur die Standardsachen mit den Obdachlosen auf Russisch. Abends gab es dann endlich meine Papiere und David und ich sind dann auf die Pirsch gegangen und haben ein wenig das russische Kneipenleben ausgekostet. Haben sonst noch den Kreml im Zentrum besichtigt, waren in einem Plattenladen (unverschämt – der war größer und günstiger als die hier in Wolgograd) und ich habe mir angeguckt wo David arbeitet. Sonntag ging es dann im Zug abends zurück. Leute, wenn ihr schlafen wollt fahrt nie in russischen Nachtzügen! Und wenn es sein muss, nehmt euch kein Zweite-Klasse-Ticket und pennt „oben“. Da bekommt man ein Holzbrett, was einen halben Meter breit ist und eine kleine Ablagefläche und das war es schon. Wer „Glück“ hat wie ich, kommt noch „nette“ chinesische Bettnachbarn, die einem wegen jedem Mist ankacken können, sodass ich am Ende so genervt war, dass ich mich einfach ohne Bettzeug zu nehmen hingelegt habe. Entsprechend habe ich nachts kein Auge zugetan und sah dann am nächsten Tag in Wolgograd richtig scheisse aus. Scheisse sehe ich zwar momentan sowieso aus, da ich mir die ganze Zeit hier über noch nicht einmal die Haare habe schneiden lassen, da immer wieder etwas dazwischen kam, aber das lassen wir mal außen vor.
Schließlich und endlich ist dann der Teilzeitillegale wieder zuhause angekommen und konnte dann den ganzen Tag entspannen, da der Zug nicht pünktlich angekommen war, sodass ich nicht zur Obdachlosenversorgung konnte.
Das war’s nun erstmal von mir. Werde demnächst wieder mehr schreiben. Wie schon so oft angekündigt.


Euer
Jörg

Keine Kommentare: